Statt Fehlerkultur brauchen wir mehr Anstrengungsbereitschaft

Statt Fehlerkultur brauchen wir mehr Anstrengungsbereitschaft



Die Sonne brannte heute den ganzen Tag. Das Thermometer zeigt 30 Grad. Es ist spürbar Sommer. Und von jetzt auf gleich: Platzregen. Lange und heftig. Es fühlt sich subtropisch an. Jedoch befinde ich mich in Köln. Corona ist eine kleine Kurve, die wir mit ungewohnt brachialer Gewalt versuchen, flach zu bekommen. Und es global gesehen, einfach nicht schaffen. Der Klimawandel ist die deutlich größere Kurve. Doch in den Unternehmen wird über Mindset, Fehlerkultur und Menschlichkeit lamentiert. Was bedeutet das für Sie als Anführer und Ihr Unternehmen?



Voll nervig. Der Bürostuhl meines Kollegen quietscht beim Zurücklehnen. Die Mechanik sieht kompliziert aus und wir entscheiden uns gegen einen eigenständigen Ölversuch – und fragen lieber den Händler um Hilfe. Der vermittelt einen Kontakt zum Hersteller. Wir bekommen einen Karton zugeschickt. Stuhl verpacken. Eine Spedition soll ihn abholen und ihn repariert wieder zurückbringen. Und jetzt die Überraschung: Das Ganze ist ein kostenloser Service – obwohl die Garantie längst vorbei ist.



So geht Kundenbegeisterung

Der Büromöbelhersteller hat es verstanden: Übertriff die Erwartungen Deines Kunden – dann ist er begeistert.

Unsere Erwartungen waren nicht sehr hoch. Der Stuhl ist knapp fünf Jahre alt. Statt einer kulanten Garantielösung, haben wir eher mit einer unverhältnismäßig hohen Rechnung gerechnet...

Doch wir wurden überrascht. Und zwar positiv. Gefühlt ist das ein mächtiger Aufwand: Paket, einpacken, Spedition, ölen, nochmal Spedition. Nur um ein Quietschen zu beseitigen. Und diesen Service gibt es dann auch noch gratis. Wow!

Kundenbegeisterung = (Qualität + Preis + Lieferung) x Service, wenn etwas schief geht

Kundenbegeisterung = (Qualität + Preis + Lieferung) x Service, wenn etwas schief geht

Als wir die Büromöbel gekauft haben, stimmten Qualität und Preis – und die Lieferung erfolgte pünktlich. Also alles top. Damit die Begeisterung anhält, wenn etwas schief geht, braucht es den richtigen Service. Und den hat der Hersteller eindeutig geliefert. Super!



Stolperfalle Fehlerkultur

Aktuell entspricht es dem Zeitgeist, von einer Fehlerkultur zu sprechen. „Fuck Up Nights“, in denen Menschen von ihren größten „Failures“ berichten. Vorstände, Führungskräfte und selbsternannte „New Work“-Gurus fordern von den Leuten den richtigen „Mindset“: Seid mutig! Wagt etwas. Denkt an die 80:20-Regel. Hauptsache, schnell und agil. Fehler gehören dazu.

Irgendetwas muss da auch dran sein. Denn ich treffe in meinen Projekten immer wieder auf Menschen, die Angst haben. Angst, einen Fehler zu machen. Diese Angst ist so stark, dass sie manchmal wie gelähmt den bösen Dienst nach Vorschrift machen.

Verantwortung übernehmen? Lieber nicht. Entscheidungen treffen? Auf keinen Fall. Etwas Neues wagen? Nein!

Nun kann man diesen Menschen natürlich vorwerfen, dass sie zu ängstlich sind. Zu lethargisch. Zu verantwortungslos. Das mag in einzelnen Fällen sicherlich berechtigt sein.

Doch bei genauerem Hinsehen liegt die Wurzel des Übels gar nicht bei diesen Mitarbeitern – sondern bei ihren Anführern.

Zwar fordern die Führungskräfte „Mut“ und predigen „Wir leben in einer Fehlerkultur“. Doch was passiert, wenn dann mal tatsächlich ein Malheur geschieht? Dann gibt’s Ärger. Und damit ist für die Mitarbeiter klar, was unter Fehlerkultur verstanden wird: „Wer einen Fehler macht, bekommt eins auf die Nase.“ Taten wirken eben stärker als Worte. Das war so. Und wird so bleiben.



Fehlerkultur ist tödlich

Zurück in meinem Büro: Dort steht der Stuhl meines Kollegen. Verpackt in einem riesigen Karton. Seit 14 Tagen. Eine Spedition sollte ihn abholen. Vor 12 Tagen.

Zwischenzeitlich haben wir drei Mal beim Hersteller angerufen. Drei Mal wurde uns versichert, dass er am nächsten Tag abholt wird. Das letzte Versprechen kam gestern – mit dem Hinweis, dass der Spediteur anscheinend unzuverlässig sei.

Blöd ist, dass es für uns als Kunden egal ist, ob der Hersteller oder der Spediteur Mist gebaut haben. Im Ergebnis hat der Hersteller für uns den Mist gebaut. Die fehlende Qualität des Spediteurs färbt auf ihn ab. Und aus dem ursprünglich positiven Service-Erlebnis wird nun ein nerviges Ärgernis.

Denken Sie an Beispiele aus Ihrem Leben. Es sind oft gerade die Kleinigkeiten, weswegen wir unzufrieden sind und ungewünschte Ergebnisse herauskommen.

  • Ihr Auto muss in die Werkstatt. Der Serviceberater fragt: „Sollen wir Ihren Wagen kostenfrei für Sie waschen?“ Sie freuen sich darauf. Und erhalten den Wagen ungewaschen zurück.

  • Sie bestellen Ihr Steak ordentlich durchgebraten, da Sie zwar noch nicht Vegetarier sind, aber das Blut irgendwie doch nicht ertragen können. Das Essen wird serviert. Salat, Pommes und das leckere Filet sind prachtvoll arrangiert. Doch der erste Schnitt ins Fleisch lässt den roten Saft auf Ihren Teller strömen.

  • Ein Kunde schickt eine Beschwerde-eMail. Irgendetwas ist mit einer Lieferung schief gegangen. Die Produktion droht, in den nächsten Tagen deswegen stillzustehen. Die Mail landet im Spam-Ordner Ihrer Firma. Doch der wird leider nur sporadisch von einem Mitarbeiter lieblos geprüft. Und so verrinnt wertvolle Zeit, die Sie eigentlich für die Problemlösung bräuchten.

  • Bei Wirecard übersehen die Prüfer die Kleinigkeit, dass rund 2 Mrd. Euro anscheinend nicht vorhanden sind, die eigentlich da sein sollten. Das Problem entstand sicherlich nicht über Nacht, sondern war die Summe vieler Kleinigkeiten — die am Ende nicht nur Arbeitsplätze sondern auch Anlegervermögen zerstörten.



Einzelne Fehler: Ja. Fehlerkultur: Nein!

Denken Sie nochmal an die Formel von vorhin:

Kundenbegeisterung = (Qualität + Preis + Lieferung) x Service, wenn etwas schief gegangen ist.

Es ist menschlich, wenn etwas schief geht. Das kann passieren — im vorderen Teil der Formel, der sich in den Klammern befindet. Doch wenn Sie dann die Chance haben, einen negativen Vorfall zu korrigieren (Service), dann darf einfach kein Fehler mehr passieren.

Vor allen Dingen dann nicht, wenn es banale Kleinigkeiten sind, die vermeidbar sind, wenn ... ja, wenn was eigentlich?

Wenn die Einstellung der Menschen stimmen würde, die an dem Prozess beteiligt sind. Jeder – egal ob Führungskraft, Angestellter oder Pförtner – hat für sich eine Entscheidung zu treffen. Und zwar jeden Morgen. Nämlich: Bin ich heute motiviert? Will ich alles geben, um für Qualität und Ergebnisse zu sorgen? Bin ich bereit, mich dafür anzustrengen und für mindestens einen Euro mitzudenken?



Die wirkliche Bedrohung

Wir haben als Menschheit auch ein Produkt abgeliefert. Indem wir den Planeten Erde besiedelt haben. Dieses Produkt „Mensch“ hat jedoch für erhebliche Mängel und Reklamationsgründe auf Seiten der Erde gesorgt. Wir spüren die Unzufriedenheit nun in Form des Klimawandels.

Wir sollten uns also lieber keine weiteren Fehler erlauben. Denn jetzt sind wir alle gefragt, den richtigen Service zu bieten, um wieder für ein menschen-freundliches Klima zu sorgen.

Fordern Sie also keine Fehlerkultur. Sondern fördern Sie lieber ein Umfeld des Lernens. Seien Sie hart in der Sache, fair zum Menschen. Fördern Sie eine konstruktive Streitkultur, in der nicht das stärkste Ego, sondern die besten Ideen gewinnen.

Und dann haben Sie vielleicht eine Chance, den ein oder anderen verärgerten Kunden wieder zu begeistern. Und wir schaffen es, den Klimawandel so zu beeinflussen, dass er uns auch für die nächsten Generationen eine lebensfreundliche und hoffnungsfrohe Zukunft ermöglicht.


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Eines noch...

Das Stärkste,
was Sie tun können, ist:
Gegenwart machen!
Für und mit den Menschen.

Das Video ist aus meiner Video-Serie #CappuccinoFriday. Sie können weitere Folgen auf meinem YouTube-Kanal sehen.