Mythos Kundenzufriedenheit

Mythos Kundenzufriedenheit — Wie Sie sich erfolgreich vom Wettbewerb absetzen.

Kundenzufriedenheit steht für viele Unternehmen mittlerweile im Fokus. In der Folge hat es der NPS (Net Promoter Score) bis in die Vorstandsetagen gebracht. Täglich werden Kunden nach ihrer Zufriedenheit befragt. Und dennoch gleicht Deutschland eher einer Servicewüste als einem Eldorado für ... ja, für was eigentlich?

Ein Eldorado für zufriedene Kunden kann nicht das Ziel sein. Stellen Sie sich vor, Ihr Lebenspartner fragt sie: »Wie findest Du unsere Beziehung?« Und Sie antworten: »Ich bin zufrieden.« Das wäre ein eher trauriger Zustand... Doch mein Eindruck ist, dass wir uns in Deutschland bereits damit abgefunden haben, dass Zufriedenheit genug ist.

Zufriedenheit ist bequem erreichbar. Lässt sich gut mit einer Vier-Tage-Woche, Teilzeitarbeit, Workations, Sabbaticals und der Rente mit 63 vereinbaren. Bloß nicht anstrengen, sondern lieber im Mittelmaß der Zufriedenheit davon ausgehen: Wir tun doch genug.

Kundenzufriedenheit ist das falsche Ziel

Auch wenn es normal zu sein scheint, dass sich zunehmend mehr Menschen mit der Haltung abfinden, Zufriedenheit und Mittelmaß seien »normal« — heißt das noch lange nicht, dass diese Haltung richtig ist.

Im Zeitalter eines schnellen und scharfen Wandels sollten Sie lieber anspruchsvoll sein. Präziser formuliert: Sie sollten freiwillig Ihren Anspruch heben, bevor der Wettbewerb Sie aus der Bahn drängt und Sie dann unter Handlungsdruck auf einmal ihren Anspruch heben müssen. Statt also darauf aus zu sein, Menschen zufrieden zu machen, könnte Ihr Anspruch lauten: Ich will, dass Du begeistert bist!

Um Menschen zu begeistern, reicht es nicht, wenn Sie lediglich Qualität abliefern. Sie müssen schon eine Schippe drauf legen, um auf der Welle zu surfen — und nicht unter sie zu geraten.

Zwar werden Themen wie Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Diversity und New Work derzeit intensiv in unserer Arbeitswelt diskutiert. Sie haben jedoch alle eines gemeinsam: Sie sind nicht entscheidend, wenn es darum geht, Ihre Kunden zu begeistern.

Deutschland: Meister im Kunden-Vergraulen

Wie Kundenbegeisterung völlig schief gehen kann, erlebte ich, als ich kürzlich ein E-Mountainbike der Firma Simplon kaufte. Die Firma steht für High-Performance Fahrräder, handcrafted in Österreich. Sie versprechen High-End und Top-Qualität. Ob dieses Versprechen tatsächlich erfüllt wird, hängt aus Kundensicht jedoch nicht nur am Produkt an sich, sondern wird maßgeblich vom gesamten Kaufprozess beeinflusst.

Die Frage war: Bei welchem Händler kann ich das Bike kaufen? Im Internet entdeckte ich einen Fahrradladen, der durch gute Videos auf sich aufmerksam machte. Einziger Haken: Er war rund eine Stunde von meinem Wohnort entfernt.

Für Spitzenqualität bin ich bereit, auch durch die Gegend zu fahren. Also fuhr ich hin. Der Verkäufer nahm mit einem Zollstock Maß. Anhand meiner Daten suchte er den vermeintlich passenden Rahmen und konfigurierte das Bike auf der Website von Simplon. Wegen Corona gab es Lieferprobleme, also konnte ich das Fahrrad nicht Probefahren. Das sei jedoch kein Problem, da ich ja vermessen wurde und das Fahrrad super passen würde, versicherte mir der Verkäufer.

Als das Bike geliefert wurde, begann die Odyssee. Ich saß gefühlt wie ein Affe auf dem Schleifstein. Die Geometrie passte einfach nicht. Außerdem wurde ein Carbonriemen fehlerhaft vom Händler montiert. Im Ergebnis fuhr ich drei Mal in den Laden, investierte viele Stunden meiner Lebenszeit. Der Carbonriemen war am Ende zwar korrekt installiert. Zur Tatsache, dass ich nicht gut auf dem Fahrrad saß, meinte der Verkäufer jedoch nur verantwortungslos: »Da kann ich nichts mehr dran ändern.«

Mein Fahrerlebnis war einfach nur Mist. Ich war nicht zufrieden und erst recht nicht begeistert, sondern enttäuscht. Das hatte jedoch nichts mit dem Produkt zu tun. Sondern mit der Art und Weise, was der Händler an Service-Qualität ablieferte.

Bleiben Sie anspruchsvoll

Wer unzufrieden ist, hat zwei Möglichkeiten: Erstens, Maßstab senken und sich mit dem Status quo abfinden. Zweitens, daran arbeiten, dass die Situation besser wird. Mich damit abzufinden, dass ich nach zwei Stunden Biken mit Rückenschmerzen vom Rad steige, ist keine Option. Also versuchte ich es mit einem Bike-Fitting. Dort wurden die bestehenden Bauteile hier und da ein bisschen verschoben. Teile austauschen wollten die Profis jedoch nicht. »Dann müssten wir einen anderen Carbonlenker bestellen und montieren. Falls der aber nicht hilft, müsstest Du ihn trotzdem kaufen und behalten.«

Im Ergebnis war ich fast soweit, dass ich das Bike wieder verkaufen würde. Mir kam noch ein letzter Gedankenblitz: direkt bei Simplon anfragen. Vielleicht haben sie ja eine Idee, was man tun kann. Die Zentrale befindet sich in Österreich. Dort gibt es auch das Experience Center Hard. Das sind jedoch rund 600km von mir. Ich freundete mich schon mit dem Gedanken an, diese Tour auf mich zu nehmen, da entdeckte ich, dass es ein weiteres Experience Center in Holland gibt. Das sind nur 230km. Also schrieb ich eine eMail nach Holland.

Ein Mensch macht den Unterschied

Die Antwort kam noch am selben Tag. Jim Palm schrieb mir: Er kann mir gerne helfen. Garantieren könne er jedoch nichts. Wenn ich will, kann ich gerne vorbeikommen und dann sehen wir weiter. Ab jetzt nimmt meine Simplon-Erfahrung eine positive Wendung.

Ich rufe Jim an, um einen Termin abzustimmen. Frage ihn: Kannst Du bei Bedarf auch Bauteile wie Lenker oder Vorbau wechseln. Ja, kann er. Wie sieht es Freitag mit einem Treffen aus? Freitag - da hätte er eigentlich frei. Aber er nimmt sich gerne trotzdem die Zeit.

Wow — das beeindruckte mich.

Freitag um 11.00 Uhr treffen wir uns in Holland. Er begrüßt mich: »Erstmal einen Kaffee?« Wir sitzen, quatschen ein bisschen. Dann geht's ans Bike. Er vermisst meinen Körper mit einem 3D-Bodyscanner. Schnappt sich ein eMTB aus dem Laden, montiert einen anderen Lenker. »Wir probieren die Umstellungen erstmal an einem unserer Bikes, bevor wir uns an deinem zu schaffen machen. Fahr hiermit mal eine Runde und probier es aus.« Die Richtung der Veränderungen stimmt. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Jim schnappt sich auch ein Bike. Fährt mit mir eine Runde, um zu sehen, wie ich auf dem MTB sitze.

Lange Rede, kurzer Sinn: Insgesamt vier Stunden verbringen Jim und ich zusammen. Im Ergebnis hat Jim meinem Bike einen neuen Lenker verpasst und ein paar Einstellungen vorgenommen. Jetzt fahre ich auf meinem MTB — und es einfach nur geil. Ich bin nicht zufrieden. Sondern absolut begeistert. Das Fahren macht voll Bock, Beschwerden habe ich auch nach mehreren Stunden Fahrt keine.

Meine Begeisterung entsteht nicht nur durch das Produkt. Sondern vor allem durch die Tatsache, wie sehr sich Jim bemüht hat, mir das Fahrgefühl zu ermöglichen, für das die Marke Simplon antritt.

Machen Sie Ihre Kunden sprachlos

Nachdem alles passte, sitzen Jim und ich wieder zusammen, trinken noch eine Tasse Kaffee. Wir plaudern über Simplon und welche Potenziale das Unternehmen noch alles heben kann. Dann frage ich ihn: »Was bekommst Du denn für Deine Hilfe heute?«

Jim schaut mich an, lächelt und sagt: »Nichts.«

Ich schaue überrascht zurück und frage: »Nichts? Damit fühle ich mich aber nicht gut.« Er erklärt mir: »Ich weiß schon, wann ich für meinen Service Geld nehmen muss. Bei Dir in diesem Fall nicht. Du hast selber viel Zeit und Energie investiert, um Dein Problem zu lösen. Und entscheidend für mich ist: Du hast nichts von mir erwartet, sondern lediglich gefragt, ob ich helfen kann. Für mich steht die Marke Simplon für absolute Spitzenqualität. Es tut mir im Herzen weh, dass jener Händler das nicht in dieser Form abgeliefert hat. Umso mehr freue ich mich, dass wir das nun wieder gerade biegen konnten. Außerdem war das Gespräch mit Dir cool und hat mir gefallen.«

So setzen Sie sich vom Wettbewerb ab

Alter Schwede. Das ist mal eine Haltung. Jim ist sozusagen Schuld daran, dass ich von Simplon begeistert bin. In meinen Projekten arbeite ich häufig mit den Unternehmern und ihren Führungsteams daran, wie wir Kunden begeistern können. Dabei orientiere ich mich an folgendem Konzept:

Magische Momente sind der neue Wettbewerbsvorteil.

Meine Kunden sind meist im hohen Qualitätsniveau unterwegs, liefern also Markenware — oft kombiniert mit Dienstleistungen. Doch das machen eben viele Unternehmen so. Kunden gewöhnen sich an dieses hohe Level und erwarten es zunehmend. Um jetzt Begeisterung auszulösen, müssen Sie die anfangs erwähnte Schippe drauf legen: Sorgen Sie für magische Momente.

Wie das gelingt, dafür gibt es keine Standard-Anleitung. Doch Sie können sich an einem Prinzip orientieren: High Tech needs High Touch. Je technischer unsere Umwelt wird, desto mehr sehnen sich Menschen nach menschlichen Erfahrungen. Solche magischen Momente können Sie nur schwer mit einem Algorithmus skalieren. Sie sind eher maßgeschneidert auf den jeweiligen Kunden und die jeweilige Situation.

So wie bei meiner Begegnung mit Jim. Das war »Gegenwart machen« pur. Und kann nur gelingen, wenn die richtige innere Haltung vorhanden ist. Wenn der Kunde das Herzblut spürt.

Insofern reicht es nicht, einfach nur Qualität im Sinne von guten Produkten oder Dienstleistungen abzuliefern. Qualität bedeutet: Das bekommen, was man erwartet. Qualität ist also normal und haut niemanden vom Hocker.

Streben Sie lieber nach Exzellenz. Suchen Sie dazu die Leute, die bereit sind, sich mit Herzblut zu engagieren. Die mehr wollen als nur Durchschnitt und Mittelmaß. Das fängt bei den richtigen Mitarbeitern an, geht über die richtigen Führungskräfte bis hin zur richtigen Unternehmenskultur. Es ist eben der »weiche Kram«, der die harten Fakten beeinflusst. Streben Sie also nicht nach Qualität, sondern nach Exzellenz.

Denn Exzellenz ist das, was entsteht, wenn Menschen sich wirklich kümmern.


Ihnen hat der Text gefallen?

Weitere Anregungen, wie Sie eine Unternehmenskultur schaffen, in der Menschen gerne Spitzenleistung bringen, finden Sie in meinem Buch »Führung stirbt nicht!«.