Einfach mal die Klappe halten

Im Meeting redet der Kollege 10 Minuten wirres Zeug, um beim Reden endlich klar zu werden. Während der Mittagspause textet die Kollegin nonstop ihr Umfeld zu. Im Zug telefoniert der Mitarbeiter lautstark, um seinem Chef das vergeigte Meeting schön zu lügen. Überall reden die Menschen. Doch vieles davon ist vor allem eines: nicht relevant!

Menschen sind unterschiedlich. Zum Glück. Eine Art der Unterscheidung ist, wie viel ein Mensch redet. Es gibt die Dauerredner. Und es gibt die effizienten Redner. Sie ahnen bereits, welche davon nicht nur ihre eigene Lebenszeit verschwenden — sondern vor allem auch die Lebenszeit ihrer Mitmenschen.

Hannover. Hotel Luisenhof. Konferenzraum. Seminar zum Thema „Leadership Excellence“. Der Titel ist anspruchsvoll. Doch wir behandeln auch die profanen Themen. Eine Chefin klagt: „Beim Mittagessen setzt sich ständig eine Kollegin zu mir in die Küche und redet wie ein Wasserfall vor sich hin. Sie erwartet noch nicht mal Antworten von mir, redet einfach immer weiter. Anscheinend kann sie einfach nicht still sein. Was soll ich machen?“

Ich schaue ihr in die Augen und halte einen Moment inne, bevor ich entgegne: „Sagen Sie Ihr doch einfach, dass Sie still sein soll. Wenn sie das Bedürfnis zu reden hat, soll sie die Mittagspause woanders verbringen, denn Sie möchten ein bisschen zur Ruhe kommen.“ „Darf ich das denn so direkt ansprechen?“, will sie wissen. „Warum denn nicht?“, halte ich dagegen.

Verbaler Mülleimer

Viele Menschen haben das Bedürfnis zu reden. Ob der Inhalt sinnfrei oder sinnvoll ist, wird vorher leider viel zu wenig geprüft. Ich habe den Eindruck, dass es vielen Menschen auch ziemlich egal ist, wie ihre verbalen Ergüsse auf die Zuhörer wirken. Hauptsache, sie können quatschen.

Dank der modernen Technik bekommen sie dazu auch immer mehr Möglichkeiten. Der größte Unsinn sind die Sprachnachrichten via WhatsApp und Co. Ich trauere selten den alten Zeiten nach. Doch wenn ich an die gute, alte SMS denke, fällt es mir schwer, nicht in Sehnsucht zu verfallen. Was war das schön, wenn man Fragen und Antworten in 160 Zeichen quetschen musste. Und alles, was da nicht reinpasste, im kurzen Telefonat oder persönlichen Gespräch geklärt wurde.

Stattdessen verfassen die Leute heute minutenlange Ergüsse via Sprachnachricht. Dabei fangen sie bereits nach wenigen Augenblicken an, sich zu wiederholen, und vergessen vor lauter verbaler Unpräzision, auf den inhaltlichen Punkt zu kommen.

In der Regel lösche ich solche minutenlangen Nachrichten einfach. Und Sie sollten das auch tun. Denn die Absender missbrauchen ihr Umfeld. Sie stehlen wertvolle Lebenszeit, weil man sich für eine 10-sekündige Frage, zwei Minuten Gelaber anhören muss. Das gleiche gilt übrigens auch für Diskussionen per eMail. In vielen Unternehmen leider immer noch eine weit verbreite Unart.

Fehlende Klarheit

Doch es gibt auch akzeptable Gründe für lange Wortergüsse. Denn manche Menschen haben das Problem, gedanklich nicht klar zu sein. Sie sprudeln wie eine wild-gewordene Quelle vor sich hin. Denn sie müssen erstmal reden, um überhaupt klar zu werden. Nach einigen Minuten haben sie dann so viel verbalen Ballast abgeworfen, dass der Kern ihres Gedanken endlich sichtbar wird.

Der ist dann meistens auch ganz gut. Es wäre nur schön, wenn der Sender erstmal im Stillen denkt, um dann nur noch den klaren Gedanken mit der Außenwelt zu teilen.

In Meetings sorgt das immer wieder für amüsante Situationen. Der Mitarbeiter überschlägt sich förmlich in seinen Darstellungen. Redet ohne Punkt und Komma. Und der Boss hört geduldig zu. Am Ende fasst er zusammen: “Also Sie denken, dass drei Punkte wichtig sind. Erstens, XXX. Zweiten, YYY. Und Drittens, ZZZ. Korrekt?” Es entsteht dann meist eine kurze Schockpause, bevor der Mitarbeiter nur noch zustimmen kann: “Genau das wollte ich sagen.” Damit wäre dann der gruppendynamische Status der Anwesenden geklärt.

Gesellschaftsproblem

Wenn Sie sich aufmerksam umsehen, werden Sie die Unmengen an irrelevantem Pseudo-Inhalt überall entdecken. In Zügen. Beim Elternabend. Selbst in der Sauna.

Die Welt bietet uns nun wirklich unzählige Orte an, in denen Gelaber geduldet wird. Die Sauna gehört nicht dazu. Denn sie ist eine Oase der Ruhe und der Entspannung.

Kürzlich war ich mit meiner Frau in einer Wellness-Therme. Ein Pärchen kommt in die Sauna, fängt an, sich lautstark zu unterhalten. Ein „Pssst“ von mir wurde einfach überhört und führt zu keiner Verhaltensänderung. Also muss ich härtere Geschosse auffahren: „Entschuldigen Sie, darf ich Sie bitten, Ihr Gespräch nach dem Saunagang fortzusetzen?“. Die Frau schaut mich irritiert an. Schüttelt den Kopf. Und hält nach einem unzufriedenen Gemurmel in Richtung ihres Partners endlich die Klappe.

Was ist nur los mit den Menschen, wenn sie nicht mal an einem Ort der Stille die Klappe halten können? Ein Saunagang dauert maximal 15 Minuten. Ist es wirklich so schwer, weniger zu reden?

Trainingsraum: Social Media

Die zahlreichen Social Media Plattformen animieren uns dazu, pausenlos zu kommunizieren. Jeder kann zur eigenen Fernseh- oder Radiostation werden. Facebook, Instagram, Twitter, Snapchat, WhatsApp, und was es sonst noch alles gibt und geben wird. Mir wurde von diversen Beratern und Gästen bei meinen Vorträgen empfohlen, auch bei diesem Social Media Theater mitzumachen.

Gerade die Stories auf Instagram bringen mich jedoch an meine Grenzen. Kurze Posts, die nur für 24h online sind. Eine Dokumentation des Alltags. Doch was sind relevante Posts? Wie vermeide ich sinnfreie Pseudo-Inhalte? Was sind Botschaften, die einen Nutzen stiften?

Und da sind wir wieder bei der Kernfrage: Nutzen für wen? Die Forschung zeigt: Wenn Menschen etwas aus ihren Leben teilen können, löst das die gleichen Glücksgefühle im Kopf aus wie das Verdrücken eines saftigen Schokoladentörtchens. Ob die geteilten Informationen für die Empfänger relevant sind, spielt dabei keine Rolle.

Eine Frage der Haltung

Vielleicht steckt hinter dem Dauer-Gesabbel auch eine ganz banale Erklärung: Die Menschen halten es kaum mit sich alleine aus. Einfach mal die Fresse halten. Mit sich selbst sein. Konzentriert arbeiten. Oder auch einfach mal nichts tun. Das verursacht beim ein oder anderen unerträgliche Schmerzen.

Diese Schmerzen will keiner. Also betäuben wir uns. Die private Zeit wird so vollgestopft, dass Freizeitstress entsteht. Trennt sich eine Beziehung wird schnell ein neuer Partner als emotionaler Rettungsanker gesucht. Und im Büro gilt: Hauptsache beschäftigt. Ob der blinde Aktionismus wirklich sinnvoll ist? Dafür ist keine Zeit zum Nachdenken.

Ich erinnere mich gerne an eine Situation in Hamburg. Vor rund 200 Unternehmern hielt ich einen Vortrag. Ins Plenum fragte ich: „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Moin und Moin, Moin?“ Eine ergraute Eminenz rief:

„Moin Moin ist Gesabbel!“

Was für eine super Antwort!

Also Hand auf‘s Herz: Wie viel reden Sie? Und wie viel davon ist Gesabbel? Und noch viel wichtiger: Können Sie auch schweigen und es mal ablenkungsfrei nur mit sich selbst aushalten?

Eines noch...

Das Stärkste,
was Sie tun können, ist:
Gegenwart machen!
Für und mit den Menschen.

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