Anspruchsvolle Leistungsträger wollen sich verbessern. Wirkungsvoller werden. Ob Unternehmer oder Top-Manager — wenn ich solche Menschen als Coach begleite, zeigt sich immer wieder: Persönliches Wachstum findet nicht nur beruflich statt. Sondern vor allem auch in den anderen Lebensbereichen des Menschen. Und die sind meist eines: Unangenehm.
Gefühl der Scham
Im ursprünglichen Briefing für die Zusammenarbeit ist davon natürlich erstmal nicht die Rede. Hier stehen Business-Themen im Vordergrund.
Wenn wir dann in der ersten Sitzung zusammen sitzen, biete ich eine Brücke an. Erzähle dem Menschen, dass meinen Kunden in den meisten Projekten rückblickend eines auffiel: Ihr wahres, persönliches Wachstum fand außerhalb der ursprünglich formulierten Ziele statt.
Jeder Mensch hat seine Herausforderungen. Das gilt für Hausmeister, Kindergärtnerin oder Azubi. Und erst recht für Anführer in Unternehmen. Wir können die beruflichen Themen nicht optimal in den Griff bekommen, wenn es in anderen Lebensbereichen große Baustellen gibt. Denn Baustellen kosten Kraft und Energie. Lenken ab.
Viele meiner Kunden trauen sich dann mit der Sprache raus. Meist nur Stück für Stück. Salami-Taktik.
Einige bemerken: Wow, diese Themen brauchen viel dringender eine Lösung als die Themen aus der Geschäftswelt. Und doch fühlen Sie sich unwohl. Denn die “privaten Banalitäten” haben ja gar nichts mit Business, Wachstum und Gewinn zu tun.
Häufig höre ich am Ende eines solchen Gesprächs: “Entschuldigen Sie, Herr Holzer. Jetzt haben wir nur über meine privaten Sachen gesprochen und gar nicht übers Geschäft...”
Ich schaue sie dann an. Frage stirnrunzelnd zurück: “Nur?”
Problem: Work-Life-Balance
Warum trennen viele Menschen ihr Arbeits- und ihr Privatleben? Sehnen sich nach einer Work-Life-Balance? Wenn Sie in der “Work” arbeiten, macht Ihr “Life” dann eine Pause — und Sie leben erst wieder, wenn Sie abends Zuhause in Ihrem “Life” sind?
Die Voraussetzung für einen Konflikt ist eine Grenze.
Kriege entstehen, weil ein Land die Grenze des anderen überschreitet.
Konflikte entstehen, weil Du eine andere Meinung hast als ich.
Kinder streiten im Sandkasten, wenn sich ein Kind nicht an die definierten Grenzen hält, wem welches Spielzeug gehört.
Und so ist es auch mit Work und Life. Sobald Sie eine Grenze zwischen Ihrer Arbeit und Ihrem Leben ziehen, haben Sie die Voraussetzung für einen Krieg gelegt. Wollen Sie wirklich faule Kompromisse im Job aushalten, indem Sie sich einreden, mit ausreichend Zeit im “normalen” Leben könnten Sie das wieder gut machen?
Sie können die Uhr des Lebens nie zurückdrehen. Ob Sie Zeit mit Job, Freunden und Familie oder Ihren Hobbies verbringen — alles ist wertvolle Lebenszeit, die Sie investieren. Die Gefahr, Lebenszeit zu verschwenden, lauert überall: Schlechte Arbeitskultur, bösartige Chefs, unangenehme Kollegen oder Kunden, falsche Freunde, hinterlistige Familienmitglieder, Drogen aller Art, Hobbies statt Zeit mit den Kindern, Affären, ...
Also hören Sie auf, zwischen Arbeit und Leben zu unterscheiden. Denken Sie lieber daran: Egal, was Sie machen — es ist alles Ihre Lebenszeit. Und die ist endlich!
Wirtschaft ohne den Menschen
In unserer Wirtschaft ist das einer der entscheidenden Trugschlüsse: Es wird so getan, als wäre der Mensch kein Mensch, sondern eine effiziente Maschine. In der Betriebswirtschaftslehre wurde der Mensch deswegen als “Homo Oeconomicus” bezeichnet. Ein Wesen, das dank seiner Intelligenz stets rationale Entscheidungen trifft. Was für ein Schwachsinn.
Der Mensch ist emotional. Dem werden die rationalen Fakten-und-Ergebnisse-Menschen sofort widersprechen. Aber selbst diese zahlenverliebten Kopfmenschen treffen auf einmal Bauchentscheidungen:
Verfallen einer Affäre, die die Ehe zu zerstören droht.
Schwimmen bereits in Millionen und verfolgen doch nicht Ihren Lebenstraum (beruflich aussteigen und anderen Themen widmen), weil ihre Angst sie plötzlich dazu zwingt, jahrelang noch mehr Geld anzuhäufen — bis Sie dann auf einmal ihren eigentlichen Traum nicht mehr erfüllen können.
Ziehen unsympathische Kunden vor Gericht, nur um sich zu rächen, obwohl die Gerichtskosten bereits am Anfang den möglichen Gewinn bereits übersteigen.
Jeder Mensch ist nicht nur rational. Sondern vor allem emotional. Hat nicht nur seine beruflichen Themen. Sondern auch die privaten und persönlichen.
Ich trenne das nicht. Für mich ist der Mensch Mensch. Mit allen Facetten. Was nutzt es, nur in einem Bereich erfolgreich zu sein — während in anderen Lebensthemen rauchende Ruinen ein Trauerbild erzeugen?
Aufbruch in eine neue richtung
Als ich mit Mitte 20 dem Tod in die Augen schauen musste, ist mir klar geworden: Ich kann nur eines im Leben tun — Gegenwart machen. Im Hier und Jetzt sein. Und dazu müssen Sie lediglich zwei Fähigkeiten wirklich gut trainieren.
Erstens: Wahrnehmen, was ist. Ehrlich sein. Vor allem zu sich selbst. Den Dreck aus dem Filter der Wahrnehmung bekommen. Nicht auf all die Meinungen hören, die von außen auf Sie einbrechen. Licht in die blinden Flecken bekommen. Gut zuhören, vor allem auf die innere Stimme. Hinschauen. Die Wahrheit so klar wie möglich sehen und annehmen.
Zweitens: Wahrmachen, was sein soll. Was ist der nächste Schritt? Was muss jetzt getan werden, um den Zustand zu verbessern? Der Mensch war immer Jäger. Ein Jäger muss Beute machen. Sonst verhungert er. Was ist Ihre Beute? Ihr Tagesziel? Welchen einen Schritt müssen Sie heute machen, um das wahr zu machen, was jetzt sein soll?
Dazu ist es hilfreich, wenn Sie wissen, wo Sie hinwollen. Ein Anführer ohne Richtung, ist kein Anführer. Sie brauchen einen Horizont. Ein Sammelsurium von Themen, Menschen, Fähigkeiten. Ein Bild der Zukunft, das Sie anlockt. Ihnen Kraft und Zuversicht spendet. Wenn Sie diesen Horizont haben, können Sie auch gut Gegenwart machen. Und zwar am besten für und mit den Menschen!
Doch was ist, wenn der Horizont fehlt? Das können Sie im Alltag gut beobachten. Denn viele Menschen verwechseln die Rotationsgeschwindigkeit eines Kreisels mit echtem Vortrieb. Beides fühlt sich zwar schnell an. Aber nur der Vortrieb hat auch eine Richtung.
Kraft durch Verletzlichkeit
Trauen Sie sich also, Ihre schwachen Seiten zu offenbaren. Schauen Sie genau hin, wo Ihre verletzlichen Flanken sind. Das ist Selbstehrlichkeit. Und die braucht Mut.
Vielleicht veröffentlichen Sie diese Schwächen sogar. Meist wissen die Menschen in Ihrem Umfeld sowieso schon, was diese Schwächen sind. Und wenn nicht, sagen Sie es Ihnen doch. Mein Gott, Sie sind Mensch. Kein Perfektionist. Denn Menschen machen Fehler. Sind fehlbar. Auch Sie! Also haben Sie den Mut und stehen Sie dazu.
Sie werden merken: Das ist unglaublich befreiend. Denn wenn Sie zu Ihren Schwächen stehen, werden Sie auch nicht mehr so viel Angst vor ihnen haben. Und wenn Sie Ihre Schwächen offenbaren, brauchen Sie nicht mehr befürchten, dass Sie eines Tages von anderen entlarvt werden.
Viele denken jedoch immer noch, Schwächen zuzugeben, sei Schwäche. Fehler eingestehen, Unwissen zugeben, einknicken und der Meinung des anderen folgen — alles Schwäche! Sie denken: Stark muss ich sein. Für den Erfolg (des Egos) kämpfen.
Vorsicht: Verwechseln Sie vermeintliche Stärke nicht mit Borniertheit!
Von Hummern wissen wir: Ihr harter Panzer schützt sie vor Feinden. Und ist gleichzeitig ihr äußeres Skelett, das das Fleisch des Tieres in Form hält. Doch wenn der Hummer weiter wächst, wird der Panzer irgendwann zu klein. Das Tier muss den Schutzmantel nun ablegen. Jetzt ist der Haufen Fleisch seinen Feinden ausgeliefert. Völlig schutz- und wehrlos. Bis der neue, größere Panzer sich aufgebaut hat. Jeder Hummer weiß also: Um zu wachsen, muss ich durch meine eigene Verletzlichkeit hindurch.
Starke Anführer
Ein starker Anführer liebt natürlich seine Stärken. Gut so! Die sollten Sie pflegen und weiter ausbauen. Denn dafür bekommen Sie Respekt und Anerkennung.
Ein starker Anführer weiß aber auch um seine Schwächen. Er steht zu ihnen. Offenbart sie sogar. Doch achten Sie darauf: Dosis und Anzahl sind natürlich eine Frage des richtigen Timings und Kontext. Wenn Sie es beherrschen, werden Sie die Herzen der anderen gewinnen und als Mensch geliebt.
Wichtig ist, dass Sie beide Seiten beherrschen: Ihre Stärken und Ihre Schwächen. Wer nur stark ist, ist eine gefühlskalte Hülle. Niemand, dem andere gerne folgen. Wer nur schwach ist, ist ein Häufchen Elend. Niemand, dem andere gerne folgen.
Doch wenn Sie stark sind und gleichsam zu Ihrer Schwäche stehen, werden Sie etwas Wunderbares erleben. Denn dann wird Ihr Mut zur Schwäche auf einmal Ihre wahre Stärke.
Hinweis: Im Herbst 2020 erscheint mein neues Buch zum Thema „Starke Anführer“. Melden Sie sich in meinem Newsletter an, um rechtzeitig informiert zu werden.
Eines noch...
Das Stärkste,
was Sie tun können, ist:
Gegenwart machen!
Für und mit den Menschen.
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