Deutschland braucht Macher – aber wir züchten zu viele Mitläufer
Jeder Mensch muss zusehen, wie er seine Miete zahlt und den Kühlschrank gefüllt bekommt. Ohne Geld funktioniert das nicht. Dazu ist ein Arbeitsplatz notwendig. Und den gibt es nur, wenn Unternehmer Unternehmen gründen und erfolgreich führen. Ohne Unternehmer sieht es also düster für uns alle aus. Doch unser Bildungssystem produziert keine Unternehmer und mutige Macher, sondern ängstliche Angestellte und Arbeiter. Wir züchten Mitläufer statt Macher.
Warum unsere Schulen Mitläufer züchten – und keine Macher
Kinder werden auf Gehorsam, Anpassung und Fehlervermeidung getrimmt. Das Auswendiglernen von Inhalten trainiert weder Problemlösekompetenz noch kritisches Denken. Doch genau das brauchen wir dringend in der Arbeitswelt.
Mag sein, dass sich manche Unternehmen in Deutschland in der Bequemlichkeit des Mittelmaßes ausruhen. Doch das darf nicht unsere Benchmark sein. Denn der Wettbewerb tobt international. Wer nicht mithält, droht den Anschluss zu verlieren.
Um zu erleben, was eine gute Arbeitsmoral ist, muss man nicht bis nach China reisen. Es reicht ein Blick nach Polen. Meine Frau ist Polin – und dort erlebe ich aus erster Hand, was es heißt, Gas zu geben. Die Menschen sind hungrig. Sie wollen etwas erreichen. Sie wollen sich Wohlstand aufbauen. Sie tun und machen. Es gleicht einem Bienenstock voller Energie und Handlungsdrang. Es herrscht ein Spirit, den es zwar in Deutschland auch gibt – aber in meiner Wahrnehmung deutlich seltener als in Polen.
Spaß statt Wettbewerb und individuelle Leistung
Natürlich erleben auch die Polen, dass Fehler, Rückschläge und Niederlagen zum Erfolg dazugehören. Wer erfolgreich sein will, muss lernen, damit umzugehen. Der Schmerz ist der Preis des Wachstums. Wer glaubt, es gäbe einen schmerzfreien Weg zum Erfolg, ist naiv.
Doch statt uns darauf vorzubereiten, indem wir uns mental stark machen, senken wir immer weiter die Standards.
Das fängt bereits im Kleinen bei unserem Nachwuchs an. Beispiel Bundesjugendspiele: Da liegt der Fokus mittlerweile auf Spaß und Miteinander, anstatt Wettbewerb zu fördern und individuelle Leistung wertzuschätzen. Die Gefahr dabei: Keine Spitzenleistung mehr, keine Herausforderung. Nur noch “Freude an Sport und Bewegung“. Dass Kinder beim Spiel eigentlich immer den Wettbewerb suchen, wird dabei ausgeblendet. Wer hätte denn noch Lust, „Mensch ärgere dich nicht“ oder Fußball zu spielen, wenn das Ergebnis egal ist?
Ich habe sogar von einer Mutter gelesen, die eine Petition gestartet hat, die Bundesjugendspiele sogar komplett abzuschaffen. Der Wettstreit mit anderen setze ihren Sohn einem Leistungsdruck aus, der nicht gut für ihn sei.
Diese Denkweise geht so weit, dass auf dem Flur einer Schule eine Urkunde abgehangen wurde. Rund 20 Jahre hing sie dort und zeichnete den Schülerrekord im Speerwurf aus. Doch diese unangefochtene Spitzenleistung sorgte dafür, dass andere sich schlecht fühlen. Also weg mit der Urkunde. Die Bildungsbotschaft an die Kinder: Leistung wird nicht mehr geehrt, sondern vertuscht.
So etwas macht mich fassungslos. Ich weiß: Eine Demokratie muss auch solche Kuschelträumer aushalten, die in einer Gesellschaft leben wollen, in der alle das Gleiche bekommen und Leistungsunterschiede nicht mehr zählen dürfen. Diese Menschen denken wirklich: Gewinner seien böse und schlecht.
Die abstruse Begründung vertreten diese Menschen mit allem Ernst: Wenn jemand gewinnt, muss jemand anderes verlieren. Das ist unmenschlich! Sorgen wir also lieber für ein Umfeld, in dem sich alle wohl fühlen, Spaß und Freude haben, niemand heult und sich auch niemand schlecht fühlt, nur weil er etwas nicht so gut kann wie die anderen. Was für ein lebensfremder Schwachsinn!
Zum Glück gibt es bereits einen ersten zaghaften Aufstand der Leistungsträger: Eltern, die sich das nicht bieten lassen und rebellieren. Wollen wir hoffen, dass die umstrittenen Änderungen wieder rückgängig gemacht werden. Denn die weichgespülten Bundesjugendspiele senden eine klare Botschaft: Mittelmaß und pi mal Daumen ist völlig ausreichend.
Es zählen keine objektiven Qualitätsmaßstäbe mehr für ganz Deutschland, sondern nur noch der relative Vergleich in der eigenen Klasse. Wenn die Klasse also aus übergewichtigen Sofakartoffeln besteht, die die 1000 Meter im Kriechtempo gehen, fühlt sich der schnellste „Gewinner” als Weltmeister und nicht als das, was er ist: ein Faultier unter Schnecken.
Aber ist das nicht unfair? Nicht jeder Mensch muss gut im Sport sein, schließlich hat jeder unterschiedliche Talente und Fähigkeiten. Letzteres ist zwar richtig, doch die Folge daraus darf nicht sein, dass wir als Land überall die Messlatten so tief legen, nur damit alle drüber kommen.
Tendenz zur Gleichmacherei
Kürzlich wurde mal wieder die Forderung laut, die Mathematik-Prüfungen im Abitur abzuschaffen. Sie seien zu schwierig. Außerdem bräuchten die meisten Menschen die Mathematik-Kenntnisse in ihrem späteren Berufsleben nicht.
Wie bitte? Weil es schwierig ist, schaffen wir es ab? In Bayern können Schüler ab 2026 tatsächlich das Mathe-Abitur umgehen . Aber ist das wirklich die richtige Antwort?
Die aktuelle Tendenz zur Gleichmacherei ist gefährlich. Denn sie schützt nicht das einzelne Individuum vor den Schmerzen von Schlechtleistung, sondern senkt die Leistung der ganzen Gesellschaft.
Die Leistungsfeindlichkeit zeigt Wirkung in den deutschen Schulen: Unsere Schüler schnitten im Jahr 2022 bei der PISA-Studie so schlecht ab wie noch nie. Deutschland belegt im internationalen Vergleich nur mittelmäßige Plätze. Und zwar nicht nur im Bereich Mathematik, sondern auch in der Lesekompetenz und den Naturwissenschaften.
Was die PISA-Studie auf erschreckend klare Weise zeigt: Länder, die große Leistungsunterschiede zwischen den Kindern zulassen, erzielen im allgemeinen Schnitt die bessere Bildungsleistung. Länder, die dagegen versuchen, die individuellen Leistungsunterschiede klein zu halten und alle auf einem ähnlich niedrigen Niveau zu halten, erreichen als Land die niedrigsten Bildungsleistung.
Doch von alledem merken wir in unserer leistungsfeindlichen Gleichmacherei nichts. Denn der Anteil der Schüler mit einem Einser-Abitur-Schnitt steigt. In den Jahren 2022 und 2021 hatten mehr Abiturienten eine Eins vorm Komma als je zuvor. Was wollen wir von unserem Nachwuchs erwarten, wenn wir die Ansprüche immer weiter senken und ihnen gleichzeitig durch immer bessere Noten das Gefühl geben, sie seien Top-Performer?
Statt Leistung gibt es jetzt Wohlgefühle im Büro
Diese Haltung hat mittlerweile auch die Arbeitswelt infiziert. Auch da ist der Zeitgeist geprägt von politisch korrektem Weichspüler. Wir leben im Zeitalter der Über-Empathisierung. Bloß niemandem zu nahe treten. Bloß niemandem „weh” tun.
Eine Aussage wie „Das entspricht nicht unseren Ansprüchen, was Sie da produziert haben!”, löst verständlicherweise bei vielen keine Freudensprünge aus. Klar, es ist direkt, und Kritik wirkt nun mal persönlich. Also vermeiden viel zu viele Führungskräfte den ehrlichen Klartext.
Stattdessen begegnen mir in den Unternehmen Formulierungen wie: „Das gefällt mir schon recht gut. Wenn du magst, könntest du überlegen, vielleicht hier oder da noch ein bisschen zu optimieren.” Sie hoffen, dass das Gegenüber die Botschaft schon versteht: „Das entspricht nicht unseren Ansprüchen, was Sie da produziert haben!”
Mir wird bei dem weichgespülten Geschwurbel schwindelig. Und vielen Menschen ebenfalls. Es traut sich jedoch kaum jemand, offen gegen den verbalen Weichspüler zu rebellieren. Im Ergebnis kommen heutzutage Mitarbeiter aus Kritikgesprächen raus, in denen die heikle Botschaft zwischen so vielen positiven Nachrichten versteckt wurde, dass sie denken: Morgen werde ich befördert. Obwohl ihnen eher bald die Abmahnung droht.
Auch sonst erlebe ich bei meinen Besuchen in Unternehmen Anzeichen der Fokussierung auf Wohlgefühle:
Mitarbeiter diskutieren, welche Musik auf den Bürofluren laufen soll, anstatt sich zu überlegen, wie sie die Kunden begeistern.
Meetings drehen sich darum, welche Kaffeesorte der neue Standard sein soll.
Unternehmen werden zu Spielplätzen statt zu Leistungszentren.
Wir scheinen zu vergessen, dass Unternehmen Zweckgemeinschaften sind. Sie sind keine Wohlfühloasen, sondern Orte, an denen Leistung gegen Geld getauscht wird.
Doch wenn die Leistung nicht mehr stimmt und Unternehmen darauf reagieren, kommt die große Empörung: So darf man doch nicht mit Mitarbeitern sprechen! Diese erwarten mittlerweile Karriere in Teilzeit, ein hohes Gehalt bei einer 4-Tage-Woche und möglichst keine anstrengenden Aufgaben.
Die Scheu vor harter Arbeit zeigt sich auch in anderen Bereichen der Wirtschaft. Jeder Haushalt braucht Handwerker – doch der Nachwuchs fehlt. Die Zahl der abgelegten Meisterprüfungen ist innerhalb von 20 Jahren von 9,3 auf 6,9 Millionen gefallen. Stattdessen wollen fast 50 Prozent der Abiturienten „Influencer“ oder „Creator“ werden.
Dem Zerfall der Leistungsfähigkeit ein Ende setzen
Wir haben als erste Spezies auf diesem Planeten keinen Plan mehr, wie wir unseren Nachwuchs erziehen. Tiere sind im Umgang mit ihrem Nachwuchs klar und konsequent. Doch das Tier Mensch verheddert sich in abstrusen Sozialexperimenten und verzieht seinen Nachwuchs und gefährdet so die Überlebensfähigkeit.
Die Bundesjugendspiele sind symptomatisch für das, was die Zukunftsfähigkeit unserer ganzen Gesellschaft gefährdet: Freude, Respekt, Fairness, Miteinander und Bequemlichkeit sind wichtiger, als sich anzustrengen.
Wir müssen dem geistigen Durchfall ein Ende bereiten, dass die erstgenannten Werte im Gegensatz stünden zu Anstrengung und Leistung. Man kann sich sehr wohl anstrengen und dabei trotzdem fair mit anderen umgehen.
Lassen Sie uns dem Zerfall der menschlichen Leistungsfähigkeit ein Ende setzen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer mal verliert, muss nicht gleich in Therapie. Wer mal weint, weil der Weitsprung ungültig war oder der Chef die eigene Arbeit als Mist bezeichnet hat, leidet nicht gleich unter einem Trauma.
Macher oder Mitläufer? Deutschland muss sich entscheiden.
Es wird Zeit, dass ein mentaler Ruck durch unser Land geht. Erfolg gibt es nicht ohne Anstrengung, Schmerz und Verzicht. Aber wozu soll man sich das antun, wenn die Lebenszeit begrenzt ist? Ich denke, der Einsatz lohnt sich. Denn wer sich anstrengt, hat auch das Recht auf Stolz, Freude und Wohlstand. Die Erfüllung kommt so aus der Arbeit an sich, weil man mit tollen Kollegen in einer inspirierenden Leistungskultur die Kunden begeistert, indem man ihnen Nutzen stiftet.
Doch dazu brauchen wir mehr Selbstwertgefühl – und zwar nicht nur in der Form von Selbstachtung („Ich bin wertvoll“), sondern vor allem durch mehr Selbstvertrauen („Ich kann etwas schaffen!“).
Unser Bildungssystem sollte Kinder nicht nur ermutigen, sich selbst per se wertvoll zu fühlen, sondern sie auch dazu bringen, sich Kompetenzen zu erarbeiten und Herausforderungen zu stellen.
Solange das nicht geschieht, müssen Führungskräfte in Unternehmen diese Rolle übernehmen. Sie müssen nicht nur für Ergebnisse sorgen, sondern Menschen dazu bringen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Denn passive, ängstliche Mitläufer gefährden unsere Zukunft. Wir brauchen mehr Macher.
Und Macher fangen an, indem sie ihren Mund aufmachen – auch wenn die Wahrheit unbequem ist. Doch davor schrecken selbst viele Führungskräfte noch zurück. Es wird Zeit, dass wir daran arbeiten!