Leistung statt Bequemlichkeit

Leistung statt Bequemlichkeit

Die Herausforderungen an Unternehmer und Führungskräfte sind hoch. Auf der einen Seite: Vier-Tage-Woche. Work-Life-Balance. Yoga-Kurse in den Unternehmen. Gleichzeitig: abkühlende Konjunktur. Sinkende Produktivität. Erste Unternehmen in Schieflage: Personalabbau, Restrukturierung, Insolvenz. Wo könnte ein Packan sein, damit Sie Ihr Unternehmen auf Erfolgskurs halten?

Pizza als Lehrmeister

London. Meine Frau und ich laufen die Straße am Tottenham Hotspurs Stadion entlang. Überall Menschen. In ein paar Stunden beginnt das Konzert von Guns N' Roses. Auf einer kleinen Mauer kauert ein Pärchen, Mitte 50, und isst eine Pizza. „Guten Appetit“, rufe ich ihnen im Vorbeigehen zu. „Danke. Wollt ihr auch ein Stück?“ entgegnet die Frau — und streckt uns den Pizzakarton entgegen. Lächelnd lehnen wir ab. „Die meinte das echt ernst“, sage ich verwundert zu meiner Frau.

Eine Weile später. Wir sitzen im Stadion. Die Band hat ordentlich Verspätung. Der Typ neben meiner Frau steht auf. Kommt nach einer Weile zurück. In der Hand: eine Pizza. „Die sieht gut aus“, begrüße ich ihn zurück. Er lächelt mich an: „Wollt ihr auch etwas?“ — und hält uns ebenfalls den Karton entgegen.

Zwei mal so ein Pizza-Event innerhalb weniger Stunden. Das war schon auffallend. Meine Frau und ich sind uns einig: Das würde uns in Deutschland nicht passieren. Wir fragten uns: Wie würden wir reagieren, wenn wir Pizza essen und jemand uns “Guten Appetit” wünscht?

Welches Verhalten Wird in Ihrem Unternehmen verstärkt?

Mir geht es hier gar nicht darum, zu bewerten, ob das eine oder das andere besser ist. Mir geht es um die Frage: Was können wir daraus für Unternehmen lernen? Der entscheidende Begriff ist hier: Kultur.

Wir beziehen den Begriff auf ganze Länder. Auf Städte. Familien. Freundeskreise. Und natürlich auch auf Unternehmen, Abteilungen und einzelne Teams. Aber was bedeutet er eigentlich?

In meiner Arbeit mit Familienunternehmen hat sich folgende Definition des Begriff Unternehmenskultur bewährt:

Kultur ist der prägende Charakter eines Unternehmens; sie verstärkt die für sie typischen Verhaltensweisen der Menschen, die in ihr arbeiten.

Besonders deutlich wird dieser typische Charakter eines Unternehmens für neue Mitglieder der Kultur. Wenn Sie also wissen wollen, wie Ihr Unternehmen tickt, fragen Sie nicht die alten Hasen, sondern die neuen Mitarbeiter. Ihnen werden die typischen Charaktereigenschaften förmlich ins Auge springen. Das, was auffallend, was anders ist im Vergleich zu anderen Organisationen.

Ähnlich wie für uns in London: Die Pizza-Erlebnisse waren für uns auffallend freundlich und haben unser Bild eines respektvollen, freundlichen Umgangs — auch mit Fremden — in London bestärkt. Die Stadt genießt bei uns einen guten Ruf, weil wir verschiedene positive Verhaltensweisen erlebt und beobachtet haben.

Solche Kultur-Diagnosen können Sie auch in Ihrem Unternehmen systematisch durchführen. Wenn Sie dann das Ergebnis sehen, wird es spannend: Verstärkt Ihre Unternehmenskultur die gewünschten Verhaltensweisen? Oder fördert sie gar solche Verhaltensweisen, die Sie gar nicht (mehr) sehen wollen?

Der weiche Kram bestimmt den finanziellen Erfolg

Aber warum sollten Sie sich als ergebnisorientierter Manager mit so weichem Kram wie Kultur beschäftigen?

Ganz einfach: Wenn der weiche Kram die falschen Verhaltensweisen verstärkt, fliegen Ihnen irgendwann die harten Zahlen um die Ohren.

Sie können das gut mit einer Ehe vergleichen: Wenn Sie nicht sorgsam auf den weichen Kram achten — die Kultur, wie Sie miteinander umgehen — geraten Sie als Paar auf kurz oder lang ins Schlittern. Es passieren dann die abstrusesten Dinge, zum Beispiel, dass sich ein Paar auseinander lebt, obwohl es seit Jahren im gleichen Haus lebt.

Agilität vs. Regeltreue

Ich halte einen Vortrag bei einem großen langjährig etablierten Konzern. Seit einigen Monaten wird die gesamte Organisation auf Agilität getrimmt. An jenem Nachmittag fahre ich an den Besucherparkplatz und Klingel an der Schranke. “Guten Tag. Holzer mein Name. Ich halte heute einen Vortrag bei Ihnen im Haus”, informiere ich den Pförtner. Er entgegnet mir: “Mir wurde gesagt, dass der Parkplatz heute wegen einer Veranstaltung gesperrt ist. Bitte parken Sie auf einem anderen Parkplatz.” “Ja, ich weiß, dass es heute eine Veranstaltung gibt. Ich bin einer der Referenten. Der Veranstalter, Herr Meier, hat mir einen Parkplatz hier reserviert”, versuche ich es erneut. “Wann ist denn Ihre Veranstaltung?” will der Pförtner wissen. “15 Uhr.” “Die Veranstaltung, für die der Parkplatz gesperrt wurde, beginnt erst um 17 Uhr. Ich darf Sie bitten, woanders zu parken.”

Witzigerweise war mein Ansprechpartner einen Tag zuvor am Empfang gewesen, um meinen Namen zu hinterlegen. Aber weder das noch die ganzen agilen Initiativen und Schulungen haben der Organisation geholfen, die Kultur wirklich zu verändern. Anhand der Verhaltensweise des Pförtners wird deutlich, welches Verhalten nach wie vor verstärkt wird: Regeltreue statt Eigenverantwortung.

Kultur ist kein Selbstzweck

Was eine Kultur leisten muss, leitet sich aus der Strategie des Unternehmens ab und den Rahmenbedingungen unter denen es erfolgreich sein muss. Insofern gibt es nicht die eine richtige Kultur. Jedes Unternehmen hat da seine ganz eigenen Ecken und Kanten. Aber eines ist für alle Unternehmen sicher: Auf kurz oder lang wird eine Organisation in Schieflage geraten, wenn der weiche Kram, die Stimmung, die Verhaltensweisen der Menschen nicht stimmen.

Die Mannschaft ist irgendwann nicht mehr mit vollem Herzblut bei der Sache — in der Folge sinken Produkt- und Servicequalität. Kunden werden unzufrieden. Ihre Leistungsträger ebenfalls. Beide wandern zum Wettbewerb ab. Umsätze sinken. Bald fehlt das Geld, um den Mitarbeitern etwas zu gönnen oder die notwendige Materialqualität einzukaufen. Ein Teufelskreis. Und nein, Sie haben dann kein Vertriebsproblem — sondern ein Kultur- und damit ein Führungsproblem!

Haben wir die falschen Manager?

Sie sollten also besser ein Auge auf den weichen Kram haben. Jedoch begegnen mir in den Führungsetagen häufig noch Menschen, die keinen Bock auf den weichen Kram haben: Manager. Sie tun das, was ein Manager machen soll: Zahlen managen. Der weiche Kram ist für sie ein nerviges Übel, was eigentlich niemand wirklich braucht. Diese Haltung kann sich ein Unternehmen solange leisten, bis sie zu Problemen führt.

Erfahrungsgemäß bekommen Sie die Kurve dann leider selten durch schnelle Hauruck-Aktionen. Klüger ist also, wir handeln präventiv. Dazu brauchen wir mehr Anführer in den Unternehmen. Menschen, die wissen, dass es nicht ausreicht, nur die Zahlen im Blick zu haben. Menschen, die verstanden haben, dass sie zusätzlich die Gefühle und Emotionen der Mitarbeiter in die richtige Richtung leiten müssen.

Doch solange wir in unserem mechanistischen Weltbild gefangen sind und meinen, Menschen ließen sich auf Ansage verändern; Führung ließe sich in einmalig zwei Tagen Seminar erlernen; werden uns in den Unternehmen immer wieder die gleichen Probleme begegnen.

Was zeichnet also gute Anführer aus? Schauen wir auf‘s Ende, nämlich die Wirkung, die sie erzielen. Schwache Anführer sorgen dafür, dass die Menschen in ihrem Umfeld kleiner und schwächer werden. Gute Anführer dafür, dass die Menschen, die sie führen, größer, stärker und mutiger werden.

Was erleben Sie in Ihrem Unternehmen?

Und noch viel wichtiger: Für welche Wirkung sorgen Sie als Führungskraft?


Ihnen hat der Text gefallen?

Mehr dazu, was moderne, starke Führungskräfte auszeichnet, finden Sie in meinem Buch «Führung stirbt nicht».