Virtuelle Teams sind ein Widerspruch in sich
„Working from Home“ und Digitalisierung sei Dank: Die Unternehmen können Büroflächen einsparen — und die Mitarbeiter endlich Alltag und Job bequemer ineinander fließen lassen. Doch in drei Situationen ist das Home-Office kein Heilsbringer — sondern schädlich.
Rund 18 Monate konnten wir ausprobieren, wie es ist, wenn zahlreiche Mitarbeiter von Zuhause arbeiten. Wenn wir uns daran erinnern, wie sehr sich vorher viele Unternehmen gegen das “Home-Office” gewehrt haben, hat die digitale Arbeit überraschend gut funktioniert.
Doch es gibt einen Unterschied zwischen „funktioniert“ und „das Beste abliefern“. Wir haben es geschafft, digital zusammen zu arbeiten. Aber wir haben nicht das Beste abgeliefert, was möglich gewesen wäre, wenn wir uns auch persönlich getroffen hätten. Das wurde und wird vor allem in drei Bereichen schmerzlich erlebbar.
1.) Team vs. Komitee
Wir sprechen ständig von einem „Team“ — auch, wenn die Beteiligten bloß ein Haufen von Individuen sind. Letzteres nenne ich „Komitee“.
Ein Komitee ist ebenfalls eine Gruppe Menschen. Doch jeder verfolgt im Wesentlichen seine eigene, oft versteckte Agenda. Offiziell formuliert zwar jeder, dass am gleichen Ziel gearbeitet wird. Aber faktisch geht es selten um die Sache. Vielmehr wird auf dem politischen Parkett hin und her geschoben, um das bestmögliche für sich persönlich rauszuholen.
Ein echtes Team ist für mich eine eingeschworene Truppe. Sie arbeitet funktional. Das können Sie an drei Kriterien festmachen:
Alle verfolgen das gleiche Ziele.
Alle haben ein gemeinsames Verständnis darüber, wie das Ziel erreicht werden soll.
Und schließlich ist das Team am Ende auch erfolgreich (ansonsten wäre es dysfunktional).
Meine Erfahrung ist: Damit aus einer Gruppe Menschen ein echtes Team wird, müssen sich die Menschen immer wieder physisch treffen. Digitaler Austausch kann dabei ergänzen — und funktioniert umso besser, je stabiler und geformter der Team-Zustand bereits ist.
Ist ja auch verständlich: Wenn ich meine Frau nur virtuell treffen würde, würde ich sie nicht als meine Frau bezeichnen. Und die Beziehung wäre erst recht keine Ehe oder Partnerschaft. Es wäre eine virtuelle Affäre. Und damit auf dem Level eines Komitees.
2.) Heikle Botschaften & Konflikte
Während der Corona-Zeit gab es für einige meiner Kunden echt schwere Probleme. Umsätze brachen ein. Schlüsselmitarbeiter kündigten. Es fehlte an Vortrieb und konstruktivem Miteinander. Kurzum: Heikle Botschaften mussten ausgesprochen und Konflikte ausgetragen werden.
Gerade in diesem zwischenmenschlich anspruchsvollen Terrain sind die digitalen Videokonferenzen der absolute Killer. Jeder hockt Zuhause vor seinem Computer. Starrt in die anonyme Kamera. Die Gruppe ist so einfach nicht richtig zu packen.
Um schwierige, zwischenmenschliche Herausforderungen zu lösen, geht nichts über den persönlichen Kontakt. Denn das einzig wirklich Echte im Leben ist die Begegnung. Es geht darum, Gesicht zu zeigen. Und nicht, das Gesicht bloß in die Kamera zu halten.
Verbindlichkeit. Persönliche Betroffenheit. All das braucht das persönliche Treffen, damit jeder seinen Mann oder Frau steht — und sich niemand per Mausklick aus der Affäre stiehlt.
3.) Sozialer Kitt & Identifikation
Erinnern Sie sich daran: Der Mensch ist ein soziales Tier. Die Herde ist für uns überlebenswichtig.
Damals, als wir vor rund 300.000 Jahren als Nomaden durch die Steppe zogen, war das Schlimmste, was passieren kann: vom Clan verstoßen werden. Denn alleine sind die Überlebenschancen in der Wildnis gleich null.
Heute haben wir mehr Optionen: Sie können Ihren „Unternehmens-Clan“ verlassen, kündigen und sich einfach einem neuen Clan anschließen. Doch die Herausforderung ist und bleibt, ein gutes, echtes Team zu finden, in dem Sie sich wohl und sicher fühlen — und mit dem Sie erfolgreich Ergebnisse erzielen. Die Kultur muss stimmen. Es braucht Identifikation. Fühlen Sie sich dazugehörig?
Dieses Identitätsgefühl geht verloren, wenn Menschen nur noch von Zuhause aus per Telefon und Computer miteinander arbeiten. Es gibt Mitarbeiter, die wurden während des Lockdowns eingestellt und haben über ein Jahr lang keinen einzigen Kollegen persönlich kennengelernt. Das ist genauso doof, wie Studenten, die ausschließlich von Zuhause studieren. Es entsteht einfach kein Zugehörigkeitsgefühl.
Ein teurer Nebeneffekt ist, dass auch der informelle Austausch fehlt. Die spontanen Treffen an der Kaffeemaschine. Der Plausch in der Mittagspause. So fehlt es an Gelegenheiten, neue Ideen zu entwickeln. Auch leidet der unternehmensübergreifende Austausch.
Klar, Sie können digitale Feierabend-Biere, Weinproben oder Online-Kreativ-Sessions veranstalten. Es gibt Menschen, denen so etwas Freude bereitet. Aber es gibt auch eine ganz schön große Menge an Menschen, die solche digitalen Pseudo-Treffen einfach nur nerven.
Und jetzt?
Manche Manager freuen sich bereits darüber, die Bürofläche zu halbieren. Feste Arbeitsplätze aufzulösen. Kosten zu sparen. Doch denken Sie daran: Veränderungen führen immer zu Problemen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die Chance liegt darin, auf die Probleme die richtigen Lösungen zu finden.
Doch die Frage ist, ob wir uns unnötig Probleme schaffen müssen, nur weil wir in blinden Aktionismus verfallen. Aus meiner Erfahrung läuft es auf eine gesunde Balance hinaus. Digital von Zuhause arbeiten, wenn es geistige Arbeit und Ruhe braucht. Statt für jedes Meeting durch die Weltgeschichte zu reisen, lässt sich vieles auch bequem und umweltschonend per Videokonferenz besprechen. Doch es braucht auch Maß und Mitte, wann es sinnvoll ist, dass wir uns persönlich treffen.
Kämpfen Sie also für den Erhalt einer aussterbenden Spezies namens gesunder Menschenverstand. Denn dieser hilft uns nicht nur bei Home-Office und persönlichen Treffen — sondern auch bei all den anderen Problemen unserer hysterischen Zeit.
Übrigens... Das Stärkste, was Sie unternehmen können, ist: Gegenwart machen!